Lutz  v. Grünhagen

DIE GRENZEN DER KONKURRENZ
- KOOPERATIVE MARKTWIRTSCHAFT ALS BASIS-INNOVATION
FÜR DIE ZUKUNFT -

ZUSAMMENFASSUNG
Die Mensch-Umwelt-Krise bedeutet kein Ende des Wohlstands, sondern provoziert überhaupt erst den Anfang eines erfüllten Lebens für alle Erdenbürger. Zuende ist die wechselseitige Bekämpfung der Menschen, die auf althergebrachten Irrtümern und Mißverständnissen über die menschliche Natur beruht. Die Fortsetzung ihrer teufelskreisartigen Reproduktion würde beim heute erreichten Stand der Technik bald zum Untergang der Art Homo sapiens führen. Der Wille zum Leben und die Anfänge eines freieren Denkens können diesen Teufelskreis auflösen.

Die vom Club of Rome geforderte erste globale Revolution ist als eine Revolution in der Persönlichkeitsentwicklung jedes einzelnen Menschen voraussehbar. Das ist ein Schritt des Erwachsenwerdens, bei dem die Natur der eigenen Interessen, Antriebe und möglichen erstrebenswerten Ziele unabhängig von aller speziellen Erziehung und Kultur begriffen wird. Dieser Schritt ist bis in die heutige Zeit hinein regelmäßig bis zum Lebensende verhindert geblieben, da Menschen noch in traditionellen Primatengesellschaften mit Rivalitäten und Hierarchien leben, wo eine wechselseitige Unterdrückung der Individuen entscheidend das Denken über die eigenen Gefühle blockiert.

Der Mensch, der vor Jahrhunderttausenden als biologische Innovation in diesen Verhältnissen aufgetaucht ist und der von seiner Natur her viel besser in freier Entfaltung seines eigenen Willens leben könnte, ist bis heute den alten Regeln dieser aus dem Tierreich überlieferten Gesellschaftsform unterworfen. Allerdings stößt beim Homo sapiens diese Form des Zusammenwirkens nun an ökologische Grenzen und würde bei rigider Fortsetzung bald zum Zusammenbruch der irdischen Lebensgrundlagen führen. Höchstwahrscheinlich erleben wir gegenwärtig den aufregenden Zeitpunkt, da die Menschheit, nach einem langen Ausprobieren ihrer vielfältigen Verhaltensmöglichkeiten, nun endlich die für die menschliche Natur optimale Form des Zusammenlebens entdeckt. Es kann ein Netzwerk von gleichberechtigten, souveränen Persönlichkeiten als neue Weltgesellschaft entstehen.

Bisherige Revolutionen waren bloß gewöhnliche Dominanzwechsel im Rahmen der alten Machtmechanismen, die mit gegenseitiger Beschädigung und Einschüchterung, mit Betrug und Ausnutzung verbunden waren. Es gibt nun keine echten Gewinner in diesem oft noch als ein Nullsummenspiel organisierten Wettkampf um die Ressourcen eines glücklichen Lebens, die aber im Grunde gar nicht knapp sind. Vorübergehende Sieger blieben selber immer Gejagte und Gehetzte und mußten ihre Besitzstände aufwendig verteidigen. Nun kommt die Aussicht auf eine ökologische Endkatastrophe hinzu, der sich sogar mit größten Privilegien keiner entziehen kann. Das wahrhaft Revolutionäre wird nun sein, daß nicht mehr unterdrückte Klassen den Spieß umdrehen wollen, sondern daß alle Erdenbürger den Teufelskreis ihrer wechselseitigen Unterdrückung durchschauen, der sich durch prägende Eindrücke in der Kindheit bei jeder Generation neu etablierte und der beim erreichten Stand der Technik nun allen gleichermaßen die Zukunft verdirbt.
 

DESTRUKTIVE KONKURRENZ

Heute verträgt sich der Begriff einer freien Marktwirtschaft nicht mehr mit Konkurrenz zwischen ihren Akteuren. Der globale Wettbewerb als Wirtschaftskrieg ruiniert die Erde und wendet sich gegen die Freiheit zum Leben. Er ist die fieberhafte Endphase einer Entwicklung, in der das Darwinsche Prinzip im Zwischenmenschlichen weiterwirkte und auch dort noch als führendes Fortschrittsmuster funktionieren konnte.

Freilich gehört der Wettbewerb als ein natürlicher Evolutionsfaktor zum Erfolgsgeheimnis der Marktwirtschaft, und er dürfte, wie die Erfindung des Geldes, grundsätzlich erhalten bleiben. Aber es ist höchste Zeit für eine klare Differenzierung: Die Menschen selbst können sich in Zukunft weder vermarkten noch verkaufen, aber ihre Produkte und Verfahrensweisen entwickeln sich optimal, wenn sie sie bewußt einer natürlichen Selektion auf Märkten aussetzen.

Das Darwinsche Evolutionsprinzip selber bringt zwar Richtungen und Trends zuwege, aber es birgt kein Zielkriterium in sich. Solange es auch in der menschlichen Sphäre noch allein den Fortschritt bestimmt, setzt sich auch dort letztlich nur das durch, was durch Zufall erhalten bleibt. Dabei spielt keine Rolle, in wieweit es für die Menschen nützlich ist oder ob es gar den Untergang ihrer ganzen biologischen Art zur Folge haben muß. Denn das Darwinsche Prinzip bedeutet nur, daß mit Zufall spontan irgend etwas entsteht (z.B. durch Mutation) und daß sich hinterher in der praktischen Existenz entscheidet, ob es bestehenbleibt, ob sein Baumuster sich reproduziert oder ob es wieder ausgelöscht wird (Selektion).

Gegenwärtig geht ein großer Trend hin zum Untergang der Menschheit, weil ihr Baumuster in der jetzigen Form seine Existenzgrundlage angreift. Unsere Handlungen werden durch Technik immer wirksamer und weisen dabei keine konstruktive Gesamtkoordination auf, so daß in seinem Inneren das unberechenbar Destruktive sich irgendwann gegen das Bestehende, gegen die empfindlichen, komplizierten und nach festen Regeln organisierten Lebensvoraussetzungen des Menschen durchsetzen müßte.

Die erreichte Wirksamkeit der Technik und die Ankunft an den "Grenzen des Wachstums" bedeutet nun keineswegs das Ende des Wohlstands, sondern liefert überhaupt erst den Anlaß dafür, daß die Chance zu einem erfüllten Leben für alle Erdenbürger entdeckt werden kann. Unwiderruflich zu Ende ist dagegen die Möglichkeit von zwischenmenschlicher Bekämpfung. Das Darwinsche Entwicklungsprinzip muß aus der zwischenmenschlichen Sphäre herausfallen und zum Instrument einer gemeinsam koordinierten, zielbewußten Lebensgestaltung werden. Wir erleben den erdgeschichtlichen Augenblick, da der Mensch mit der Erkenntnis seiner naturgegebenen Interessen ein neues Zielkriterium in die Evolution einführen muß. Zielbewußtsein des Menschen, als Reflexion seines eigenen biologischen Grundmusters, muß künftig die Entwicklungen auf der Erde steuern.

Das bedeutet, daß unsere zunehmend problematische Beziehung zur natürlichen Umwelt durch Erkenntnisse über unsere eigene Natur wieder zukunftsfähig werden kann.

Die destruktive, verbissene Wettbewerbsmentalität in der Endzeit der zwischenmenschlichen Konkurrenz beruht auf einem gestörten Kontakt zu den eigenen Gefühlen. Der Glaube an die Notwendigkeit von äußerem, willkürlichem sozialem Zwang zur Aktivität erhält sich nur aufrecht, solange die eigenen, natürlichen inneren Antriebe zu Produktivität und Kreativität nicht frei erlebt werden. Umsichtig, umweltverträglich und letztlich erfolgreich im Sinne eines befriedigenden und glücklichen Lebens kann nur ein Mensch handeln, der seinen eigenen Impulsen wohlüberlegt folgen kann und weder durch Einschüchterung blockiert noch durch Konkurrenzdruck zu einseitiger Hyperaktivität aufgehetzt wird.

Das sozialistische Experiment scheiterte nicht am Fehlen von Konkurrenz, sondern daran, daß es eben Rivalität, Diktatur und Hierarchie fortsetzte, zwar anders, teils mit gutem Willen, aber auch sehr ungeschickt. Der Mißerfolg kam gerade durch Phänomene wie Konkurrenzneid, zum Beispiel bei herrschenden Funktionären, die, um die Oberhand zu behalten, private Initiativen behinderten. Der Sozialismus ließ den naturgegebenen produktiven Bedürfnissen und der Lust zur attraktiven Lebensgestaltung keinen freien Lauf. So ging das System wegen Störung der natürlichen Antriebe des Handelns zugrunde. Der Fehler lag in dem Glauben, daß die Antriebe für die Arbeitskräfte von außen, etwa durch Belohnung und Bestrafung, geschaffen werden müßten, statt sie im Inneren der Personen zu suchen.

Ideologien eines ruinösen Wettbewerbs sind motiviert von der Angst vor einem Erlahmen der Kräfte, sobald der äußere Druck nachläßt. Auch Angst vor der Konkurrenz, die "nicht schläft", mag im Spiel sein. Jedenfalls fehlt das Vertrauen in die eigene Kreativität und Schaffensfreude, die stets von äußeren Zwängen begleitet war und davon abhängig ist wie ein Trinker vom Alkohol. Selbstbewußte Menschen brauchen auch keine äußeren Feinde und Konkurrenten, um ihnen die Schuld am eigenen Versagen zu geben und um sich selbst durch diese Gegner zu definieren. Unsere Zeit braucht eigenständig denkende Personen mit Mut zu dem Risiko, das mit einer Entwicklung von gegenseitigem Vertrauen verbunden ist. "Feigheit vor dem Feind" bedeutet heute, Feindschaft beim anderen einfach vorauszusetzen und vorbeugend schon im voraus den vermeintlichen Gegner zu schädigen und zu übervorteilen.
 

KOOPERATIVE MARKTWIRTSCHAFT

Das Wort von einer "kooperativen Marktwirtschaft" eignet sich vielleicht als Anregung für die Diskussion. Es scheint einen Widerspruch zu enthalten und weist damit auf Widersprüche im herkömmlichen Denken hin, die es heute aufzulösen gilt. Die vom Darwinschen Prinzip gesteuerte, herkömmliche Marktwirtschaft wird veranstaltet als Wettkampf der Menschen im Erwerben von Geld. Tatsächlich aber geht es im Leben um das, was für Geld gekauft werden kann, geht es auch um vieles, was für Geld nicht zu haben ist und um vieles, was durch bloßen Besitz von Geld oder durch seinen scheinbaren Besitz erlebt werden kann.

Der eindimensionale Wertmaßstab Geld hat sich als Instrument für grobe Schätzungen bewährt und hilft tatsächlich bei einem sehr vagen, ungefähren Vergleich von sehr unterschiedlichen Dingen, Handreichungen, Naturressourcen, Gefühlen, seelischen Zuständen oder ganzen Lebewesen, die eigentlich nicht mit einem einzigen Maßstab gegeneinander aufgerechnet werden können. Die Werte, die im Leben Bedeutung haben, sind qualitativ so verschieden, daß sie nicht ernsthaft gleichgesetzt und mit derselben Maßeinheit quantifiziert werden können. Dennoch grassiert heute eine globale, rigorose Reduzierung aller dieser Werte auf Dollar-Beträge. Das ist letztlich ein absolut unrealistisches Verhalten. Das ist eine Flucht vor der komplexen Wirklichkeit des Daseins und eine so primitive Vereinfachung, daß sie auf eine Selbsttötung der Zivilisation hinausläuft.

Wo Arbeit als Wettlauf um Gelderwerbsquellen mißverstanden wird, sind Massenarbeitslosigkeit, Kriminalität, Drogensucht und Umweltzerstörung vorprogrammiert. Der erste Schritt zu einer prinzipiellen Lösung der Probleme unserer Zeit wäre das Bemühen um eine Modellvorstellung von den Bedürfnissen, Werten und erstrebenswerten Zielen im Leben eines Menschen. Das zum illusionären Allheilmittel verkommene, eindimensionale Geld-Wertsystem muß zu einem realistischen, mehrdimensionalen und dynamischen Modell qualifiziert werden. Alle Menschen müssen sich bewußt werden, wofür sie als Wesen ihrer biologischen Art von ihrer Natur aus eigentlich arbeiten und leben.

Die Entdeckung der natürlichen Antriebe, die eine Organisation der Arbeit als Befriedigung produktiver Bedürfnisse gestattet, begann in der Verhaltensbiologie während der dreißiger Jahre durch Erich von Holst und Konrad Lorenz. Sie weist darauf hin, daß es wahrscheinlich gar keine biologische Grundlage für Feindschaft und unlösbare Interessenkonflikte gibt. Durch Kultivierung dieser Bedürfnisse würde jeder Betrug und Raub, der auf parasitäre Aneignung fremder Arbeitsergebnisse zielt, seinen Sinn verlieren. Niemand müßte zum Fleißigsein genötigt werden, da jeder im Grunde einen inneren Drang zu produktiver Aktivität verspürt, der ausgelebt werden muß. Es käme nur auf die Koordination der Aktionen an, die wahrscheinlich auf allen Gebieten des Lebens friedlich erfolgen kann, sobald klar wird, daß die naturgegebenen, möglichen erstrebenswerten Ziele aller Menschen miteinander vereinbar sind.

"Kooperative Marktwirtschaft" soll also keine Unterdrückung von Aggression, Kampfeslust oder Antrieb zum Sieg bedeuten. Damit soll auch nicht die natürliche Tendenz zu Rangfolgen geleugnet oder gleichmacherisch glattgebügelt werden, sondern es geht dabei um das gemeinsame Erkennen und Aufgreifen unserer natürlichen Veranlagungen zum Zweck einer geschickten Koordination unserer Interessen. Das Ideal der Gleichheit ist eine menschliche Innovation und dient als Anhaltspunkt für eine optimale Orientierung in einem Chaos von beliebigen, unendlich vielfältigen Verhaltensmöglichkeiten. Es bewirkt, daß jeder seine speziellen Begabungen und herausragenden Fähigkeiten ganz zur Geltung bringen kann. Denn wenn das durch so eine optimale Grundregel im Einklang mit den Artgenossen und mit der natürlichen Umwelt geschieht, sind seinem Erfolg im Sinne eines befriedigenden Lebens keine Grenzen gesetzt.