Lutz von
Grünhagen
Saarstr. 24, D-03046 Cottbus
Das fällige neue System von Wirtschaft und Gesellschaft
Seit dem Zusammenbruch des
Sozialismus 1989 wurde die Welt weitgehend von der Idee beherrscht, dass das
Wirtschaftssystem sich als ein freier Wettkampf um möglichst viel Geld selbst
organisieren sollte. Es gibt zwar viel Kritik an diesem System, aber bisher
ist keine Alternative dazu bekannt geworden.
Dabei ist es sehr
naheliegend, erstens anstelle des Erwerbs von Geld die Befriedigung der
Bedürfnisse als das eigentliche Ziel eines Menschen zu verstehen. Zweitens
ergibt sich bei näherer Betrachtung, dass Säugetiere zwei Kategorien von
Bedürfnissen haben, nämlich die organischen Grundbedürfnisse und die höheren
Bedürfnisse, wobei die letzteren beim Menschen auch die produktiven Bedürfnisse
genannt werden. Das heißt, es gibt eine Art Trieb zur Arbeit, den wir
systematisch nutzen können, um alle für ein angenehmes und interessantes Leben
nötigen Leistungen selber schon als befriedigende Tätigkeit zu gestalten. Das
wäre zudem der "gesunde", "naturgemäße" Arbeitsstil des
Menschen. Kern des fälligen neuen Wirtschaftssystems wäre also statt
"Arbeit als Wettkampf um möglichst viel Geld": "Arbeit als
Befriedigung der produktiven Bedürfnisse".
Das neue System kann als
eine kooperative und zielbewusste Marktwirtschaft bezeichnet werden. Zwischen
den Menschen selber würde keine Konkurrenz mehr stattfinden, aber ihre Produkte
und Verfahrensweisen würden von ihnen gemeinsam einer natürlichen Selektion
auf Märkten ausgesetzt. Das würde bedeuten, dass die Menschen bewusst
natürliche Evolutionsstrategien nutzen in der Entwicklung ihrer Kultur und
ihrer Technik. In der kooperativen Marktwirtschaft würde weiterhin Geld
benutzt. Geld ist ein abstrakter Wert, und es wird auch in Zukunft
erstrebenswert sein, viel davon zu besitzen. Überhaupt wird es Privatbesitz,
auch an "Produktionsmitteln", weiterhin geben und auch hier wird
weiterhin die Erhaltung und Vergrößerung von Besitz als erstrebenswert gelten
und gesellschaftlich akzeptiert sein. Und wie schon bei Adam Smith wird die Arbeitsteilung
als die Quelle des menschlichen Wohlstands angesehen, wobei man die Bedeutung
von Wissenschaft und Technik heute dabei sicherlich höher bewertet als damals.
Das radikal Neue bei
alldem wird sein, dass die Menschen sich nicht mehr gegenseitig bekämpfen, also
auch nicht mehr um ihren Besitz. Stattdessen dürfte eine neuartige
Großzügigkeit in der Verteilung der Besitztümer praktiziert werden. Das ist
möglich, weil das Produzieren des Reichtums selber schon als Teil eines reichen
und glücklichen Lebens organisiert werden kann.
Die Revolution, die uns in
die neue Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft bringt, wird einerseits die
friedlichste soziale Umwälzung, die es jemals in der Geschichte unserer
biologischen Art gegeben hat. Es wird deshalb weder einen Regierungswechsel
geben noch wird jemand deshalb seines Amtes enthoben oder gar enteignet. Das
System bleibt eine Marktwirtschaft und erfordert keinen abrupten Wechsel der
Methoden. Andererseits wird es auch die bisher tiefgreifendste soziale
Veränderung, nämlich der Schritt von den vormenschlichen sozialen
Organisationen mit ihren Rivalitäten, Hierarchien und gewaltsamen
Konfliktlösungen zu der spezifisch menschlichen Organisation des Zusammenlebens,
einem globalen Netzwerk von gleichberechtigten Personen. Die eigentliche
Revolution wird im Denken stattfinden. Die Menschen werden ihren gewohnten
Alltag fortsetzen und dabei gemeinsam darüber nachdenken, wofür sie eigentlich
leben wollen, und sie werden dabei gemeinsam zu der revolutionierenden
Erkenntnis kommen, dass ihre Interessen vollkommen miteinander und mit der
Erhaltung unserer irdischen Lebensgrundlagen vereinbar sind.
Die Umwälzung wird im
folgenden bestehen: Bisher mussten die Menschen sich einer vormenschlichen
Ordnung von Gesellschaft anpassen und unterordnen, aber demnächst werden sie
sich ihrer selbst und ihrer Ziele besser bewusst und werden dann gemeinsam die
Gestaltung der Gesellschaft ihren eigenen, spezifisch menschlichen vitalen
Interessen unterordnen.
Der Grund für diese
Umwälzung ist, dass der Entwicklungsstand der Technik eine Fortsetzung der
gegenseitigen Bekämpfung von Menschen unmöglich macht, weil unsere biologische
Art damit sich selbst und ihre Lebensgrundlage zerstören würde. Andererseits
erübrigt sich aber auch durch diese fortgeschrittene Technik der Konkurrenzkampf
als zusätzlicher "Motor" der Entwicklung. Das bedeutet keineswegs,
dass in Zukunft kei- ne menschlichen Höchstleistungen mehr zu erwarten wären.
Es ist nur die wirklich unangenehme Arbeit, von der wir uns dank Wissenschaft
und Technik verabschieden werden. Zu künstlerischen, wissenschaftlichen oder
sonstigen Spitzenleistungen dürfte es uns aus reiner Lust an solchen Leistungen
gerade in einer kooperativen Gesellschaft treiben, weil wir uns dann ungestört
durch Konkurrenzdruck, Neid oder Misstrauen unse- ren jeweiligen Leidenschaften
widmen können. Bei den Voraussetzungen der Revolution ist sicherlich nicht
entscheidend, dass die Technik uns Arbeit abnehmen kann, sondern dass der
Entwicklungsstand der Wissenschaft uns heute die entsprechenden Erkenntnisse
über unsere eigene Natur ermöglicht und dass die Kommunikationstechnik uns den
nötigen weltweiten Gedankenaustausch in diesem Zusammenhang ermöglicht.
Der Fehler aller
bisherigen Gesellschaftssysteme ist aus Sicht der modernen technischen
Zivilisation, dass sie das gewaltsame Übergehen der Interessen anderer Menschen
zur Tugend erhoben haben. Denn ein Mensch ist wahrscheinlich von Natur aus
nicht fähig, eine Niederlage wirklich zu ertragen und muss, wenn sie ihm
aufgezwungen wird, entweder gegen sich selbst oder gegen sein Umfeld aggressiv
und destruktiv werden, und er müsste mit der modernen Technik schließlich die
Zivilisation zerstören, die zudem immer empfindlicher gegen absichtliche
Angriffe wird. So ist heute die Auffassung, dass der Konkurrenzkampf der
natürliche Antrieb von allen Entwicklungen in der Gesellschaft sei, die Ursache
der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Denn der Konkurrenzkampf hetzt zu
einseitigen Hyperaktivitäten auf, die rücksichtslos sind gegen die Umwelt, und
er schafft Verlierer, die keine Verantwortung mehr für unsere Welt tragen
können, weil ihre Kräfte gebunden sind im Sinnen auf Rache oder in anderen destruktiven
Bestrebungen.
Freilich sind Konflikte
und Situationen, die als Niederlage empfunden werden, im Leben unvermeidlich,
aber sie können immer wieder aufgelöst werden, wenn die "Triebe zum
Sieg" oder die "Aggressionstriebe", die wir als Säugetiere
sicherlich in irgendeiner Weise haben und die zu den produktiven Bedürfnissen
zählen, auf eine menschlich intelligente Weise abstrakt empfunden werden, etwa
als der Antrieb, ein Problem zu besiegen. Solche Siege über Hindernisse im
Leben, die vielleicht wie zusammenhängende Wesen in unserer komplexen
lebendigen Welt empfunden werden, können immer als gemeinsa- me Siege gefeiert
werden und wir als Menschen mit unseren intellektuellen Fähigkeiten brauchen
dazu keineswegs die konkret erlebbare Niederlage eines Artgenossen.
Deshalb können wir in der
gemeinsamen Ausrichtung auf das Ziel, eine weltweite Wohlstandsgesellschaft zu
schaffen, eine neue, vollkommen kooperative und freundliche Organisation
unseres Verhaltens erlernen. Die Entscheidung dazu dürfte in der
Menschheitsentwicklung ziemlich plötzlich fallen, indem die Einsicht, dass das
im Prinzip möglich wäre, auf einmal die meisten Menschen in Begeisterung
versetzt. Ein solcher weltweiter Umbruch wäre durch moderne
Kommunikationstechnik möglich, und wahrscheinlich werden Diskussionen im
Fernsehen die entscheidenden Überlegungen bei der Allgemeinheit auslösen.
Eine solche öffentliche
Debatte muss sich im Verborgenen vorbereiten, weil alle Ideen die in diese
Richtung gehen, zunächst überall ganz und gar abgewiesen werden, denn die bisherigen
Denkweisen sind Ausdruck eines Zwiespalts zwischen freundlichen und feindlichen
Gefühlen gegenüber anderen Menschen und dieser Zwiespalt wird mit einer Gewalt
verteidigt, die Ausdruck einer Angst vor dem Weiterdenken ist. Man schreckt vor
dem Weiterdenken zurück, da es in eine Situation führen könnte, der man sich
nicht gewachsen fühlt. Zum Beispiel herrscht Angst davor, durch eine
freundliche Einstellung gegenüber anderen schutzlos zu werden. Oder der Gedanke
an ein allgemeines Ende des Konkurrenzkampfes bedeutet die Schreckensvision,
dass alle Kräfte erlahmen, weil man den Antrieb zur Arbeit, der sich aus der
Faszination der Sache ergibt, noch nicht frei erleben konnte.
So begegnet die Idee von
der kooperativen Marktwirtschaft regelmäßig überall einer Übermacht von
Gegenmeinungen. Sie berührt heute alle wunden Punkte, die sich aus früheren
Misserfolgen und Niederlagen ergeben und spricht die verdrängten Wünsche und
Sehnsüchte an, die dabei unerfüllt geblieben sind. Denn das neue System setzt
das alles wieder auf die Tagesordnung, da es die Menschen befähigt, sich alle
wichtigen Träume im Leben zu erfüllen, eben durch eine zielbewusste friedliche
Koordination aller Interessen. So ist es bereits das Ergebnis jahrelanger
Bemühungen, wenn es gelingt, keine gar zu irrationalen Abwehrreaktionen mehr zu
provozieren, sondern eher eine gesunde Skepsis, die eine sachliche Diskussion
ermöglicht. Dieser Dialog ist nötig, um das neue System und einen geeigneten
neuen Sprachgebrauch dafür so weit zu entwickeln bis es schließlich Resonanz in
der Öffentlichkeit erzeugt. Das braucht seine Zeit.
Und ich habe die
eindrucksvolle Erfahrung, nach intensiver Suche schließlich an einem Tag
innerhalb von Sekunden plötzlich die Möglichkeit dieses neuen
Wirtschaftssystems erkannt zu haben. Daher erwarte ich in der Gesellschaft
einen ähnlichen plötzlichen Erkenntnisdurchbruch. Der ist mit Hilfe der
Selbstorganisationstheorien als ein Symmetriebruch an einem Bifurkationspunkt
detailliert voraussehbar. Das hilft, ihn in unserer Welt vielleicht gezielt
auslösen zu können.
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