Lutz von Grünhagen                                                                                

Saarstr. 24,  D-03046 Cottbus

Mai 2002

 

 

Das fällige neue System von Wirtschaft und Gesellschaft

 

Seit dem Zusammenbruch des Sozialismus 1989 wurde die Welt weitgehend von der Idee beherrscht, dass das Wirtschaftssystem sich als ein freier Wettkampf um möglichst viel Geld selbst organisieren sollte. Es gibt zwar viel Kritik an diesem System, aber bis­her ist keine Alternative dazu bekannt geworden.

 

Dabei ist es sehr naheliegend, erstens anstelle des Erwerbs von Geld die Befriedigung der Bedürfnisse als das eigentliche Ziel eines Menschen zu verstehen. Zweitens ergibt sich bei näherer Betrachtung, dass Säugetiere zwei Kategorien von Bedürfnissen ha­ben, nämlich die organischen Grundbedürfnisse und die höheren Bedürfnisse, wobei die letzteren beim Menschen auch die produktiven Bedürfnisse genannt werden. Das heißt, es gibt eine Art Trieb zur Arbeit, den wir systematisch nutzen können, um alle für ein angenehmes und interessantes Leben nötigen Leistungen selber schon als befriedigen­de Tätigkeit zu gestalten. Das wäre zudem der "gesunde", "naturgemäße" Arbeitsstil des Menschen. Kern des fälligen neuen Wirtschaftssystems wäre also statt "Arbeit als Wett­kampf um möglichst viel Geld": "Arbeit als Befriedigung der produktiven Bedürfnisse".

 

Das neue System kann als eine kooperative und zielbewusste Marktwirtschaft bezeich­net werden. Zwischen den Menschen selber würde keine Konkurrenz mehr stattfinden, aber ihre Produkte und Verfahrensweisen würden von ihnen gemeinsam einer natürli­chen Selektion auf Märkten ausgesetzt. Das würde bedeuten, dass die Menschen be­wusst natürliche Evolutionsstrategien nutzen in der Entwicklung ihrer Kultur und ihrer Technik. In der kooperativen Marktwirtschaft würde weiterhin Geld benutzt. Geld ist ein abstrakter Wert, und es wird auch in Zukunft erstrebenswert sein, viel davon zu besit­zen. Überhaupt wird es Privatbesitz, auch an "Produktionsmitteln", weiterhin geben und auch hier wird weiterhin die Erhaltung und Vergrößerung von Besitz als erstrebenswert gelten und gesellschaftlich akzeptiert sein. Und wie schon bei Adam Smith wird die Ar­beitsteilung als die Quelle des menschlichen Wohlstands angesehen, wobei man die Bedeutung von Wissenschaft und Technik heute dabei sicherlich höher bewertet als damals.

Das radikal Neue bei alldem wird sein, dass die Menschen sich nicht mehr gegenseitig bekämpfen, also auch nicht mehr um ihren Besitz. Stattdessen dürfte eine neuartige Großzügigkeit in der Verteilung der Besitztümer praktiziert werden. Das ist möglich, weil das Produzieren des Reichtums selber schon als Teil eines reichen und glücklichen Le­bens organisiert werden kann.

 

Die Revolution, die uns in die neue Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft bringt, wird einerseits die friedlichste soziale Umwälzung, die es jemals in der Geschichte unserer biologischen Art gegeben hat. Es wird deshalb weder einen Regierungswechsel geben noch wird jemand deshalb seines Amtes enthoben oder gar enteignet. Das System bleibt eine Marktwirtschaft und erfordert keinen abrupten Wechsel der Methoden. Ande­rerseits wird es auch die bisher tiefgreifendste soziale Veränderung, nämlich der Schritt von den vormenschlichen sozialen Organisationen mit ihren Rivalitäten, Hierarchien und gewaltsamen Konfliktlösungen zu der spezifisch menschlichen Organisation des Zu­sammenlebens, einem globalen Netzwerk von gleichberechtigten Personen. Die eigent­liche Revolution wird im Denken stattfinden. Die Menschen werden ihren gewohnten Alltag fortsetzen und dabei gemeinsam darüber nachdenken, wofür sie eigentlich leben wollen, und sie werden dabei gemeinsam zu der revolutionierenden Erkenntnis kom­men, dass ihre Interessen vollkommen miteinander und mit der Erhaltung unserer irdi­schen Lebensgrundlagen vereinbar sind.

 

Die Umwälzung wird im folgenden bestehen: Bisher mussten die Menschen sich einer vormenschlichen Ordnung von Gesellschaft anpassen und unterordnen, aber dem­nächst werden sie sich ihrer selbst und ihrer Ziele besser bewusst und werden dann gemeinsam die Gestaltung der Gesellschaft ihren eigenen, spezifisch menschlichen vitalen Interessen unterordnen.

 

Der Grund für diese Umwälzung ist, dass der Entwicklungsstand der Technik eine Fort­setzung der gegenseitigen Bekämpfung von Menschen unmöglich macht, weil unsere biologische Art damit sich selbst und ihre Lebensgrundlage zerstören würde. Anderer­seits erübrigt sich aber auch durch diese fortgeschrittene Technik der Konkurrenzkampf als zusätzlicher "Motor" der Entwicklung. Das bedeutet keineswegs, dass in Zukunft kei- ne menschlichen Höchstleistungen mehr zu erwarten wären. Es ist nur die wirklich un­angenehme Arbeit, von der wir uns dank Wissenschaft und Technik verabschieden wer­den. Zu künstlerischen, wissenschaftlichen oder sonstigen Spitzenleistungen dürfte es uns aus reiner Lust an solchen Leistungen gerade in einer kooperativen Gesellschaft treiben, weil wir uns dann ungestört durch Konkurrenzdruck, Neid oder Misstrauen unse- ren jeweiligen Leidenschaften widmen können. Bei den Voraussetzungen der Revolution ist sicherlich nicht entscheidend, dass die Technik uns Arbeit abnehmen kann, sondern dass der Entwicklungsstand der Wissenschaft uns heute die entsprechenden Erkennt­nisse über unsere eigene Natur ermöglicht und dass die Kommunikationstechnik uns den nötigen weltweiten Gedankenaustausch in diesem Zusammenhang ermöglicht.

 

Der Fehler aller bisherigen Gesellschaftssysteme ist aus Sicht der modernen techni­schen Zivilisation, dass sie das gewaltsame Übergehen der Interessen anderer Men­schen zur Tugend erhoben haben. Denn ein Mensch ist wahrscheinlich von Natur aus nicht fähig, eine Niederlage wirklich zu ertragen und muss, wenn sie ihm aufgezwungen wird, entweder gegen sich selbst oder gegen sein Umfeld aggressiv und destruktiv wer­den, und er müsste mit der modernen Technik schließlich die Zivilisation zerstören, die zudem immer empfindlicher gegen absichtliche Angriffe wird. So ist heute die Auffas­sung, dass der Konkurrenzkampf der natürliche Antrieb von allen Entwicklungen in der Gesellschaft sei, die Ursache der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Denn der Konkurrenzkampf hetzt zu einseitigen Hyperaktivitäten auf, die rücksichtslos sind gegen die Umwelt, und er schafft Verlierer, die keine Verantwortung mehr für unsere Welt tra­gen können, weil ihre Kräfte gebunden sind im Sinnen auf Rache oder in anderen de­struktiven Bestrebungen.

 

Freilich sind Konflikte und Situationen, die als Niederlage empfunden werden, im Leben unvermeidlich, aber sie können immer wieder aufgelöst werden, wenn die "Triebe zum Sieg" oder die "Aggressionstriebe", die wir als Säugetiere sicherlich in irgendeiner Weise haben und die zu den produktiven Bedürfnissen zählen, auf eine menschlich intelligente Weise abstrakt empfunden werden, etwa als der Antrieb, ein Problem zu besiegen. Sol­che Siege über Hindernisse im Leben, die vielleicht wie zusammenhängende Wesen in unserer komplexen lebendigen Welt empfunden werden, können immer als gemeinsa- me Siege gefeiert werden und wir als Menschen mit unseren intellektuellen Fähigkeiten brauchen dazu keineswegs die konkret erlebbare Niederlage eines Artgenossen.

Deshalb können wir in der gemeinsamen Ausrichtung auf das Ziel, eine weltweite Wohlstandsgesellschaft zu schaffen, eine neue, vollkommen kooperative und freundli­che Organisation unseres Verhaltens erlernen. Die Entscheidung dazu dürfte in der Menschheitsentwicklung ziemlich plötzlich fallen, indem die Einsicht, dass das im Prinzip möglich wäre, auf einmal die meisten Menschen in Begeisterung versetzt. Ein solcher weltweiter Umbruch wäre durch moderne Kommunikationstechnik möglich, und wahr­scheinlich werden Diskussionen im Fernsehen die entscheidenden Überlegungen bei der Allgemeinheit auslösen.

Eine solche öffentliche Debatte muss sich im Verborgenen vorbereiten, weil alle Ideen die in diese Richtung gehen, zunächst überall ganz und gar abgewiesen werden, denn die bisherigen Denkweisen sind Ausdruck eines Zwiespalts zwischen freundlichen und feindlichen Gefühlen gegenüber anderen Menschen und dieser Zwiespalt wird mit einer Gewalt verteidigt, die Ausdruck einer Angst vor dem Weiterdenken ist. Man schreckt vor dem Weiterdenken zurück, da es in eine Situation führen könnte, der man sich nicht gewachsen fühlt. Zum Beispiel herrscht Angst davor, durch eine freundliche Einstellung gegenüber anderen schutzlos zu werden. Oder der Gedanke an ein allgemeines Ende des Konkurrenzkampfes bedeutet die Schreckensvision, dass alle Kräfte erlahmen, weil man den Antrieb zur Arbeit, der sich aus der Faszination der Sache ergibt, noch nicht frei erleben konnte.

 

So begegnet die Idee von der kooperativen Marktwirtschaft regelmäßig überall einer Übermacht von Gegenmeinungen. Sie berührt heute alle wunden Punkte, die sich aus früheren Misserfolgen und Niederlagen ergeben und spricht die verdrängten Wünsche und Sehnsüchte an, die dabei unerfüllt geblieben sind. Denn das neue System setzt das alles wieder auf die Tagesordnung, da es die Menschen befähigt, sich alle wichtigen Träume im Leben zu erfüllen, eben durch eine zielbewusste friedliche Koordination aller Interessen. So ist es bereits das Ergebnis jahrelanger Bemühungen, wenn es gelingt, keine gar zu irrationalen Abwehrreaktionen mehr zu provozieren, sondern eher eine ge­sunde Skepsis, die eine sachliche Diskussion ermöglicht. Dieser Dialog ist nötig, um das neue System und einen geeigneten neuen Sprachgebrauch dafür so weit zu entwickeln bis es schließlich Resonanz in der Öffentlichkeit erzeugt. Das braucht seine Zeit.

 

Und ich habe die eindrucksvolle Erfahrung, nach intensiver Suche schließlich an einem Tag innerhalb von Sekunden plötzlich die Möglichkeit dieses neuen Wirtschaftssystems erkannt zu haben. Daher erwarte ich in der Gesellschaft einen ähnlichen plötzlichen Er­kenntnisdurchbruch. Der ist mit Hilfe der Selbstorganisationstheorien als ein Symmetrie­bruch an einem Bifurkationspunkt detailliert voraussehbar. Das hilft, ihn in unserer Welt vielleicht gezielt auslösen zu können.

 

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